Die Biene und das Ökosystem
erschienen in der Zeitschrift „Meine Gesundheit“, „Dolomiten“-Beilage vom 11. April 2019; www.dolomiten.it
Die Tage werden länger, draußen blüht es, und wir freuen uns auf Erdbeeren und Kirschen, auf Tomaten und Gurken aus dem eigenen Garten und etwas später im Jahr auf Äpfel und Birnen. Dass wir all das genießen dürfen, haben wir den Bienen zu verdanken–und zwar nicht nur der bekannten Honigbiene, sondern auch den zig Wildbienen, die durch ihre Bestäubungsarbeit in unseren Gärten und Gütern für reiche Früchte sorgen. Doch die Biene ist bedroht–auch bei uns in Südtirol.
Das düstere Bild malte bereits Albert Einstein vor 100 Jahren: „Wenn die Biene einmal von der Welt verschwindet, dann hat der Mensch nicht mehr lange zu leben“, sagte der berühmte Nobelpreisträger. Dass er recht hatte, das haben die Menschen in China bereits erfahren. Dort wurden Bienen und andere Insekten durch eine rücksichtslose Landwirtschaftspolitik so stark dezimiert, dass die Bestäubung durch Insekten nicht mehr gegeben ist. Wo aber keine Bestäubung mehr stattfindet, wachsen auch keine Früchte mehr. Und weil sich Umweltschäden nicht mehr so schnell rückgängig machen lassen, muss in vielen Landstrichen in China die Bestäubungsarbeit von Menschenhand verrichtet werden. Männer, Frauen und Kinderklettern auf Bäume, holen die Pollen mit Pinseln und Bürsten aus den Blüten und bestäuben damit andere Blüten – eine Sisyphusarbeit, die wohl nur in China möglich ist, weil dort Arbeitsleistung so gut wie nichts kostet.
Das zeigt bereits, wie wichtig Insekten, und hier vor allem die Bienen, für uns Menschen sind. Biologin Petra Kranebitter vom Naturmuseum Südtirol in Bozen kann das nur bestätigen: „Bienen leisten einen enormen Beitrag bei der Bestäubung unserer Wild- und Kulturpflanzen.“ In geringerem, jedoch auch wichtigem, Ausmaß sind daran auch andere Insekten beteiligt, die von einer Blüte zur nächsten fliegen. Beispiele sind Schwebfliegen, Wespen oder Käfer. „Aber den Hauptanteil an der Bestäubung hat sicherlich die Biene, weil sie die Blüten sehr oft aufsuchen muss, um für sich und ihre Nachkommen die Ernährung zu sichern“, erklärt Kranebitter.
Die Bestäubungsarbeit ist gewissermaßen ein Nebeneffekt der Nahrungssuche der Biene: Sie steuert die Blüten auf der Suche nach Nektar und Pollen an.
Während die Biene mit ihrem Rüssel die energiereiche Zuckerlösung tief aus dem Inneren der Blüte holt, verfängt sich in ihrem Haarkleid Blütenstaub, die Pollen. Diese nimmt die Biene mit zur nächsten Blüte, die sie auf ihrer Nahrungssuche anfliegt. Die Pollen bleiben an der klebrigen Narbe der anderen Blüten hängen, die auf diese Weise bestäubt werden. Nur dann kann sich eine Frucht bilden. Die über 100 wichtigsten Kultur- und Nutzpflanzen auf der Welt sind zur Fruchtbildung auf die Bestäubung angewiesen. Oder anders ausgedrückt: Laut einem Bericht zum Thema „Bestäuber, Bestäubung und Nahrungsmittelproduktion“ des Weltrats für biologische Vielfalt IPBES vom Februar 2016 sorgen Bienen und andere Insekten mit ihrer Bestäubungsleistung weltweit für Nahrungsmittel mit einem Marktwert von jährlich bis zu 500 Milliarden Euro.
Es sind aber nicht die bekannten, vom Menschen gezüchteten Honigbienen, die die Hauptleistung bei der Bestäubung leisten, wie Biologin Kranebitter zu bedenken gibt: Studien haben nämlich ergeben, dass Wildbienen bei der Bestäubung viel effizienter als Honigbienen sind. „Ihnen wird aber leider nicht diese Aufmerksamkeit geschenkt, die sie sich verdienen.“
450 bis 500 verschiedene Wildbienen-Arten gibt es in Südtirol, eine aktuelle Checkliste gibt es leider nicht. Rein optisch unterscheiden sie sich von den Honigbienen in ihrem Körperbau und ihrer Färbung. „Manche Wildbienen sind kleiner und weniger behaart als die Honigbienen, andere sind auch größer und viel pelziger, denken wir nur an unsere Hummeln “, erklärt Petra Kranebitter. Im Gegensatz zu Honigbienen, die in einem großen Volk von zigtausenden Bienen leben und vom Imker einen Bienenstock gestellt bekommen, sind Wildbienen Einzelgänger. Eine Ausnahme bilden die Hummeln, die auch zu den Wildbienen gehören, aber im Volk leben. Die meisten Wildbienen sind aber auf sich allein gestellt: Sie müssen sich Nistplätze suchen, die sie oft in Hohlräumen in der Natur finden, die andere Tiere hinterlassen oder sie selbst gegraben haben. Auch leere Schneckenhäuser oder vor allem morsches Holz sind beliebte Nistplätze. In den Nestern richtet das Weibchen mehrere voneinander getrennte Brutzellen ein, die mit Pollen und Nektar ausgestattet werden. Das Weibchen legt ein einzelnes Ei auf jeden Nahrungsvorrat, der für die gesamte Entwicklung einer Biene ausreicht und verschließt dann die Zelle, damit sich der Nachwuchs ungestört entwickeln kann. „Weil die Wildbiene auf sich allein gestellt ist, bleibt sie ihrem Nistplatz auch relativ nahe, sie fliegt also nicht so weite Strecken wie es eine Honigbiene tut“, erklärt Kranebitter.
Wildbienen sind bei der Nahrungssuche viel spezialisierter als die Honigbiene. „Sie fliegen auch ganz spezielle Blüten und Pflanzen an, die für die Honigbiene häufig uninteressant sind, zum Beispiel weil sich der Nektar für ihren Rüssel zu tief in der Blüte drinnen befindet. Die Wildbienen hingegen sind oft viel kleiner und wendiger und suchen sich genau diese Blüten“, erklärt die Biologin. „Häufig gibt es eine enge Symbiose zwischen den Wildbienen und den Pflanzen.“ Auf diese Weise leisten die Wildbienen einen wichtigen Beitrag zur Bestäubung vor allem von Wildpflanzen und damit auch zur Pflanzenvielfalt, die wiederum anderen Tieren zu Gute kommt.
Die Honigbiene führt unterdessen ein vergleichsweise behütetes Leben. Sie ist Teil eines großen Bienenvolkes, das sich die Arbeiten im Stock aufteilt, der Imker stellt Behausung und Nistplätze bereit und kümmert sich auch um das Nahrungsangebot. Immerhin hält er die Bienen meist als Nutztiere, deren Erzeugnisse er für den eigenen Gebrauch oder den Verkauf verwendet. Deshalb werden viele Bienenstöcke im Frühling zur Apfelblüte in die Obstwiesen gebracht, danach zur Kirschenblüte und im Sommer zur Alpenrosenblüte in die Höhen. „Weil sich ein Imker um die Honigbiene kümmert, ist sie auch weniger gefährdet als die Wildbienen, die auf sich allein gestellt und allen Umweltbedingungen schutzlos ausgeliefert sind, sagt Kranebitter.
Durch die moderne Landwirtschaft ist ihre Nahrungssicherheit vom Frühling bis in den Spätsommer nicht mehr garantiert. „In modernen Wiesen dominieren vor allem Gräser, kaum eine Blume blüht dort mehr. Zudem wird sehr früh und in kürzester Zeit gemäht, sodass Wildbienen kaum mehr Nahrung finden“, erklärt die Biologin. Nicht minder bedrohlich für die Bienen ist der Einsatz von Pestiziden. Aber auch natürliche Feinde, Krankheiten und auch der Klimawandel machen unseren Bienen zu schaffen. „Das betrifft natürlich die Honigbiene auch, allerdings ist sie – dank Imker – dem nicht schutzlos ausgeliefert.“ Findet die Wildbiene keine Nahrung mehr, ist auch ihre Nachkommenschaft nicht mehr garantiert und folglich ihr Überleben in Gefahr.
Deshalb denkt Petra Kranebitter, wenn von Bienensterben die Rede ist, auch nicht primär an die Honigbiene, sondern an die Wildbienen. Dementsprechend plädiert sie in erster Linie für deren Schutz. „Davon profitiert dann auch die Honigbiene, umgekehrt ist das nicht unbedingt so: Schutzmaßnahmen für die Honigbiene gehen nicht zwingend auch für die Wildbiene gut.“
Die Biologin umreißt die „Haupt-Bedrohungen“ für die fleißigen Bienen: „Das sind strukturarme Landschaften ohne Nistplätze und ohne Blütenangebot ebenso wie die Art der Bewirtschaftung der Kulturflächen, also überwiegend Monokulturen, intensiv bewirtschaftete Mähwiesen, frühzeitiges und häufiges Mähen und der Einsatz von Pestiziden.“ Gerade was Spritzmittel angehe, wurde zum Schutz der Honigbienen ein Ausbringverbot in der Blütezeit in den Kulturgütern erlassen, „aber an die Wildbienen denkt zumindest bisher niemand“, sagt Kranebitter und wiederholt: „Dabei spielt sie für die Bestäubung und die Ökosystemleistung eine noch viel wichtigere Rolle als die Honigbiene. Bei der Bestäubung dürfen wir nicht nur an die Obstkulturen denken, sondern an alle Wild- und Kulturpflanzen.“
Eines ist für die Biologin aber auch klar: „Es braucht sie beide, die Wildbiene und die Honigbiene – aber in einem gesunden Gleichgewicht.“ Müssen Wildbienen nämlich auf einer blühenden Wiese mit zu vielen Bienenvölkern, die zigtausende Honigbienen umfassen, wetteifern, haben sie als Einzelkämpfer unweigerlich das Nachsehen.
Dass Wildbienen, wie andere Insekten auch auch in Südtirol abnehmen, dafür gebe es Indizien. „Leider können wir nicht mit genauen Zahlen aufwarten, weil wir noch kein langfristiges Überwachungssystem, ein Monitoring, haben. Darum möchte ich mich in den nächsten Jahren verstärkt bemühen“, sagt Kranebitter. Doch wie kann man Wildbienen schützen? „Das fängt im Kleinen an, muss dann aber natürlich im Großen fortgesetzt werden. Wir brauchen ein Umdenken in der Landwirtschaft, mehr extensive, strukturreiche Landschaften, die den Wildbienen nützen und damit auch der Honigbiene sowie allen Insekten zugutekommen.“ Und jeder Einzelne könne in seinem Umfeld naturnahe Lebensräume schaffen: Keinen Kunstrasen im Garten auslegen, sondern zumindest einen Teil wild wachsen lassen und eine bunte Vielfalt in den Beeten zulassen. „Es muss uns klar sein, dass wir unsere Nahrungsgrundlage verlieren, wenn wir keine Bienen mehr haben, die diese enorme und für uns lebenswichtige Bestäubungsarbeit leisten“, sagt Kranebitter. Obst und Gemüse, das heute selbstverständlich ist, wird dann fehlen. Das hat ein Supermarkt in einem Experiment vorgemacht: Alle Produkte, an denen Bienen beteiligt sind, wurden aus den Regalen geräumt. Die Folge: Das halbe Geschäft war leer, auf Schildern stand „Biene weg, Regal leer“. „Das sind dann wirklich große Probleme, die auf die Menschheit zukommen und die wohl niemand will“, resümiert Kranebitter.
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