In der Fenner Schlucht gibt es über 20 Schmetterlingsarten, die weltweit nur weiter südlich leben, und eine Art, die der Wissenschaft bisher gar nicht bekannt war.
Sechs Jahre lang, zwischen 2013 und 2019, nahm ein Team aus Biologinnen und Biologen des Naturmuseum Südtirol und der Tiroler Landesmuseen die Fenner Schlucht im Norden des Fennbergs bei Margreid und die hier lebenden Schmetterlinge unter die Lupe: Mit Netzen beprobten die Fachleute rund um Peter Huemer, Kustos der Naturwissenschaftlichen Sammlungen im Sammlungs- und Forschungszentrum der Tiroler Landesmuseen, tag- und dämmerungsaktive Schmetterlingsarten, suchten Raupen und erhoben mit speziellen Leuchttürmen nachtaktive Arten. Wo dies möglich war, bestimmten sie die Arten visuell, andernfalls sammelten sie Proben für das DNA-Barcoding durch das Canadian Centre for DNA Barcoding (dabei wird die Reihenfolge der vier Basen in der Desoxyribonukleinsäure (DNA), Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin, bestimmt und – wie der Strichcode auf Lebensmittel-Verpackungen – als Kennzeichen für eine bestimmte Tier- oder Pflanzenart verwendet).
Das Ergebnis: Die Fenner Schlucht präsentierte 524 Schmetterlingsarten aus 47 Familien, 18 Arten kommen südtirolweit nur hier vor. Von besonderem Interesse sind außerdem drei Arten, die von den Fachleuten aktuell keiner beschriebenen Art zugeordnet werden können: Neu für die Wissenschaft ist mit Sicherheit die Art Oxypteryx marieae, bei den beiden anderen Arten sind noch weitere Recherchen notwendig.
Die neue Art Oxypteryx marieae unterscheidet sich, so der glückliche Finder Huemer, von anderen durch äußere Merkmale, den Bau ihrer Geschlechtsorgane, ihre ungewöhnliche Flugzeit (im Herbst statt im Frühjahr oder Sommer) und ihr Erbgut: Beim DNA-Barcoding wurde ein genetischer Abstand zur nächsten Art ermittelt, der deutlich größer ist, als der Abstand der anderen verwandten Arten untereinander. Benannt hat der Tiroler Biologe die neue Art nach einem ganz besonderen Menschen: „Das verstehen nur Großeltern“, lacht er, „die neue Art widme ich meiner Enkelin Marie, die seit ihrer Geburt eine stetige Inspiration und tägliche Freude ist.“
Doch warum stellt die Fenner Schlucht einen derart idealen Platz für Schmetterlinge dar? Warum leben hier viele Schmetterlinge, die sonst in Südtirol und zum Teil auch auswärts kaum oder gar nicht gesichtet werden? Peter Huemer: „In dieser submediterranen Enklave wächst eine große Vielzahl an Pflanzen. Zudem scheint diese Gegend kaum von den Spritzmitteln aus den durch Obstbau geprägten Tallagen betroffen, denn der im Unterland tagsüber vorherrschende Südwind erreicht die Fenner Schlucht kaum, durch die steil abfallende Schlucht dominieren hier eher Fallwinde. Diese günstigen Bedingungen sind dafür verantwortlich, dass im Gebiet trotz der Nähe zu Intensivkulturen Arten in erhöhter Populationsdichte vorkommen, die ansonsten im Tal weitgehend verschwunden sind.“ Neben der ausgesprochen großen Anzahl von Landesneufunden aus der Fenner Schlucht (etwa vier Prozent des lokalen Arteninventars) ist vor allem die Qualität dieser Nachweise hervorzuheben: Fast alle Arten kommen in Südtirol nur hier vor und erreichen in der Fenner Schlucht überhaupt die Nordgrenze ihrer globalen Verbreitung.
Die Erhebungen in der Fenner Schlucht fanden in Kooperation mit dem Naturmuseum Südtirol und im Rahmen der vom Land Südtirol geförderten Forschungsprojekte zur Erstellung einer DNA-Barcode-Bibliothek der Schmetterlinge des zentralen Alpenraumes und zur genetischen Artabgrenzung ausgewählter arktoalpiner und boreomontaner Tiere Südtirols statt.